BGH verwirft die sog. „taggenaue“ Schmerzensgeld-Berechnung

Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.02.2022 - VI ZR 937/20

Bis zu der Diskussion der taggenauen Schmerzensgeldberechnung bezog sich der Betrag einer angemessenen Entschädigung aus sog. Schmerzensgeldtabellen, in denen „vergleichbare“ Fälle veröffentlicht sind. Rechnet man die auf dieser Grundlage bislang ausgeurteilten Beträge auf Tagessätze herunter, stellt man fest, dass in den meisten Fällen die Beträge im Verhältnis zur Verletzung nicht angemessen zu sein scheinen. So wurde vom OLG München einem Kind mit einer Armplexusparese links, die durch einen Fehler unter der Geburt entstanden ist, im Jahr 2002 100.000,00 DM (heute würden dies ca. 66.000,00 € sein) zugesprochen. Durch die Lähmung liegt eine Beeinträchtigung beim Tasten, Greifen und Abstützen vor. Es resultiert eine Behinderung der Funktion des linken Schultergelenks mit teilweiser Einsteifung der aktiven Beweglichkeit und eine deutliche Bewegungseinschränkung des Arms. Auch besteht eine deutlich eingeschränkte Berufswahl. Der Betrag entspräche unter Berücksichtigung der statistischen Lebenserwartung einer Entschädigung von vielleicht 3,00 € pro Tag.
Das OLG Frankfurt hat im Jahr 2018, Az. 22 U 97/16, ein Durchschnittseinkommen in Form des sog. Bruttosozialeinkommens mit monatlich 2.670,16 € im Rahmen der taggenauen Schmerzensgeldberechnung zu Grunde gelegt. Die Beeinträchtigung soll mit einem prozentualen Anteil dieses Einkommens berücksichtigt werden, ähnlich einem Grad der Behinderung. So ergibt sich bei einer 10%igen Beeinträchtigung ein tägliches Schmerzensgeld in Höhe von 267,02 €, entsprechend 10% von 2.670,16€.

Die Diskussion um ein taggenaues Schmerzensgeld wurde jedoch durch das vorgenannte Urteil des Bundesgerichtshofs beendet.

Der BGH hat ausgeführt, dass maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers sind. Dabei geht es nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falls, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. In erster Linie sind die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt.

Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 31.08.2020 – 12 U 870/20, zum Hinterbliebenengeld nach § 844 Abs. 3 BGB
§ 844 Abs. 3 BGB Ersatzansprüche Dritter bei Tötung

(3) Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.

Das OLG hat ausgeführt, dass das sogenannte Hinterbliebenengeld eine Entschädigung für die Trauer und das seelische Leid, die durch den Verlust eines besonders nahestehenden Menschen ausgelöst worden ist, sei. Für die Höhe ist weder eine feste Ober- noch eine feste Untergrenze vorgegeben. Eine Orientierungshilfe bietet jedoch die im Gesetzgebungsverfahren vorgenommene Kostenschätzung, bei der ein durchschnittlicher Entschädigungsbetrag von 10.000 Euro zugrunde gelegt wurde. Entscheidend ist der Einzelfall. Das Näheverhältnis, der verwandtschaftliche Grad, das Alter der Beteiligten ist zu berücksichtigen.

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